? Herr Bosbach, beim TV-Sender „Welt“ trafen AfD-Vorsitzende Alice Weidel und BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht im Duell aufeinander. Ihre Bewertung: Wie gefährlich sind die beiden Gallionsfiguren von AfD beziehungsweise BSW mit ihren politischen Positionen für den demokratischen Rechtsstaat?
Wolfgang Bosbach: Solange AfD und BSW in der Opposition sind, mache ich mir keine Sorgen um den Bestand unserer Demokratie. Jedoch führen deren beachtliche Wahlergebnisse möglicherweise dazu, dass es immer schwieriger wird, aus der politischen Mitte heraus stabile Regierungen zu bilden. Die AfD mit ihrem völkisch-nationalistischen Kurs und Sahra Wagenknecht mit ihrer anti-westlichen, sozialistischen Ausrichtung machen Koalitionen mit den Parteien der Mitte politisch unmöglich.
? Ohne Beteiligung des BSW wird es wohl in Sachsen, Thüringen und Brandenburg keine tragfähige Koalition geben. Wäre es mit Blick auf Ihre Ausführungen zu Sahra Wagenknecht nicht sinnvoller, und vor allem ehrlicher, als Alternativlösung eine Minderheitsregierung ins Auge zu fassen?
Wolfgang Bosbach: Man sollte alle Anstrengungen unternehmen, um genau dieses Szenario zu vermeiden. Eine Minderheitsregierung ist immer auch ein Ritt auf der Rasierklinge. Aus Sicht der Opposition allerdings wäre das maximal bequem: Man könnte bei jeder Entscheidung Einfluss nehmen, ohne jedoch politisch verantwortlich gemacht werden zu können.
? Auch wenn eine Zusammenarbeit oder gar eine Koalition mit der AfD von den anderen Parteien im Bundestag abgelehnt wird, wäre es dennoch nicht schlauer, der AfD zum Beispiel einen Vizepräsidentenposten im Bundestag oder einen Ausschussvorsitzenden zuzugestehen? Spätestens dann hätte die Partei keinen Grund mehr, in die „Opferrolle“ zu schlüpfen. Außerdem wäre es doch hochinteressant, wenn ein AfD-Bundestagsvizepräsident ein AfD-Mitglied wegen eines unqualifizierten Zwischenrufes zurechtweisen müsste.
Wolfgang Bosbach: Darauf können Sie lange warten! Die konstituierende Sitzung des Landtags in Thüringen hat doch gezeigt, wozu Repräsentanten der AfD fähig sind. Das ganze Theater war eine einzige Demonstration demokratischer Unfähigkeit. Selbstverständlich können auch AfD Abgeordnete für derartige Ämter kandidieren. Aber einen Anspruch darauf, gewählt zu werden, den haben sie nicht.
? Wo müsste, Ihrer Meinung nach, die CDU den Hebel ansetzen, um ehemalige Wähler, die aufgrund der Merkel’schen Flüchtlingspolitik der Partei den Rücken gekehrt haben und zur AfD übergelaufen sind, zurückzugewinnen?
Wolfgang Bosbach: Machen wir uns nichts vor: Alle AfD–Wähler werden wir nicht mehr in die politische Mitte zurückholen können. Dafür sind mittlerweile zu viele zu scharf rechts abgebogen, wenngleich natürlich nicht alle. Leider haben wir es lange Zeit versäumt, nach den Motiven zu forschen, warum auch ehemalige Unionsanhänger ihr Kreuz nun bei der AfD gemacht haben. Friedrich Merz macht es in dieser Situation genau richtig: Fehler analysieren und benennen, diese nicht verschweigen, die richtigen Konsequenzen für die Zukunft ziehen.
? Ihr Parteifreund Wanderwitz initiiert ein parteiübergreifendes AfD-Verbotsverfahren. Ist das das richtige oder falsche Signal?
Wolfgang Bosbach: Das Einzige, was ich von dieser Aktion halte, ist Abstand. Sowohl aus verfassungsrechtlichen als auch aus politischen Gründen. Ich verstehe auch nicht, wieso die Initiatoren glauben, damit der AfD zu schaden. Ich befürchte das Gegenteil.
? Nicht erst nach dem islamistischen Terror von Solingen ist die Stimmung in dem Land gekippt. Vor allem, weil „junge bindungslose Männer mit hoher Gewaltbereitschaft“ nach 2015 die Straßen verunsichern. Und wenn angebliche schutzbedürf-tige Afghanen zurück in ihr Heimatland fahren, um dort Urlaub zu machen, um anschließend wieder als Schutzbedürftige zurückzukommen, komme das einer Kapitulation des Asylrechts gleich, so die klare Aussage des Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt. Sie waren ein führender Innenpolitiker innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Was muss nach Ihrer Meinung geschehen, um diesem Wahnsinn ein Ende zu bereiten?
Wolfgang Bosbach: Viel! Sehr viel sogar. Wieviel Platz und Zeit geben Sie mir? Ganz kurz zusammengefasst: Humanität und Ordnung – exakt darum muss es gehen. Reduzierung der sogenannten Pull-Faktoren, wie zum Beispiel durch Einführung der Bezahlkarte. Wir müssen wissen, wer in unser Land kommt! Mehr als 50 Prozent der Migranten haben keine Papiere! Wir brauchen sichere EU-Außengrenzen, Verlagerung von Verfahren in Drittstaaten und ganz wichtig: Die Durchsetzung der Regel, dass nur in EINEM EU – Land ein Asylantrag gestellt werden kann.
? Was halten Sie von schwarz-grünen Gedankenspielen, mit denen die Ministerpräsidenten Wüst und Günther öffentlich kokettieren? Besteht nicht die Gefahr, dass die Möglichkeit einer schwarz-grünen Koalition vor allem konservativ denkende Wählerschichten abschreckt?
Wolfgang Bosbach: Ich halte überhaupt nichts davon, im Wahlkampf permanent „was-wäre-wenn“ – Fragen zu thematisieren. Wir sollten einen Unionswahlkampf führen und keinen Koalitionswahlkampf. Es wird gewählt, dann gezählt, und dann sehen wir, wofür es rechnerisch reicht und was politisch möglich ist. Schwarz-Grün ist ganz bestimmt kein erstrebenswertes politisches Ziel!
? Zur Wirtschafts- und Mittelstandspolitik: Immer mehr Unternehmen – auch mittelständische Unternehmen – sitzen auf gepackten Koffern, um ihre Produktion ins Ausland zu verlagern. Was ist zu tun, um hier zu einer Umkehr zu kommen?
Wolfgang Bosbach: Hier gilt das Gleiche wie beim Thema Migration: Darüber könnte man ein ganzes Buch schreiben. Zunächst müsste die Haltung zum Thema Wirtschaft geändert werden. Der Kanzler sagt: „Der Wohlstand basiert auf dem Sozialstaat!" Falsch! Der Wohlstand basiert auf dem Fleiß der Menschen und auf der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Also müssen wir die ökonomischen Rahmenbedingungen so verändern, dass wir wieder in die Erfolgsspur kommen. Die diesbezüglichen Stichworte sind hinlänglich bekannt. Der nächste Schritt wäre: Machen!
? Laut statistischem Bundesamt gab es im September 2024 13,7 Prozent mehr Firmenpleiten als ein Jahr zuvor. Gleichzeitig schmiert die Konjunktur nach zwei Jahren Rezession immer weiter ab – trotzdem feiert sich Robert Habeck als großer Wirtschaftsantreiber, der, so wörtlich, „das Land in Fahrt gebracht habe, wie kein anderer Wirtschaftsminister zuvor“. Grenzt das nicht an Polit-Comedy beziehungsweise Satire?
Wolfgang Bosbach: Da sagen Sie was! Im Vergleich zu sich selbst betitelt Herr Habeck unseren ehemaligen Bundeskanzler Ludwig Erhard als eine glatte Fehlbesetzung. Habecks größter Fehler besteht jedoch darin, ernsthaft zu glauben, dass die Dekarbonisierung der Wirtschaft zwangsläufig zu einem erneuten Aufblühen der Wirtschaft führt, die notfalls auch mit dem Verpulvern von Milliarden in Form von Subventionen stimuliert werden sollen. Ich sage Ihnen: Das wird nicht funktionieren.
? Was muss eine von CDU/CSU geführte Bundesregierung reformieren, um der Habeck’schen Energiepolitik einen Riegel vorzuschieben, um so das Vertrauen der Menschen in bezahlbare Energie wieder zurückzugewinnen?
Wolfgang Bosbach:
Nicht alles, aber das Meiste. Im Rahmen des Landtagswahlkampfes in Brandenburg habe ich unter anderem ein großes Sport- und Freizeitcenter besucht, dessen Eigentümer die weitläufigen Dachflächen von Tennishalle,
Squashhalle und Fitnessräumen, der Umwelt und sich zuliebe mit Fotovoltaik-Platten ausstatten wollte. Da es sich hier um eine sehr hohe Investition handelte,
ließ er sich vom zuständigen Ministerium in Brandenburg beraten. Nach Abschluss aller Umbaumaßnahmen erfuhr er durch den Versorgungsunternehmer,
dass aufgrund der limitierten Aufnahmefähigkeit des Leistungsnetzes lediglich eine 20-prozentige Einspeisung der gewonnenen Energie möglich sei.
Nicht nur wirtschaftlich ein erheblicher Schlag ins Kontor.
Der Versuch, politisch motivierte Entscheidungen ungeachtet jedwedes physikalischen Gesetzes zu treffen,
kann nicht funktionieren. Schaut man sich die vergangenen Jahre an, so zeichnet sich bereits ein nicht nur kontinuierlicher, sondern auch deutlicher Ausbau erneuerbarer Energien ab.
Jedoch sollten wir uns nicht der trügerischen Hoffnung hingeben, dass wir die gesamte Energie- und Stromversorgung in Deutschland ausschließlich durch erneuerbare Energien leisten können.
Auch stimmt es nicht, dass wir vollumfänglich aus der Kernenergie ausgestiegen sind. Der Ausstieg bezieht sich lediglich auf die heimische Produktion, nicht jedoch auf den Bezug von Atomstrom,
wie er nahezu täglich aus französischen Reaktoren vollzogen wird. Gleichwohl betrachte ich eine Renaissance der Kernenergie in absehbarer Zeit als ausgeschlossen.
Welcher Energiebetreiber möchte schon auf ein Pferd setzen, dessen Zügel die Ampelregierung jederzeit durch Veränderung politischer Rahmenbedingungen herumreißen und damit für ein erneutes Aus der Kernenergie sorgen kann?
Meine Vermutung ist der Ausbau von Gaskraftwerken, welche bei Bedarf die Versorgungslücke der erneuerbaren Energien, z.B. bei Dunkelflauten, zu schließen vermögen.
Wenn wir sowohl im privaten als auch im industriellen Bereich eine zuverlässige Energieversorgung gewährleisten wollen, dann werden wir auch weiterhin nicht auf klassische Energien als Ergänzung verzichten können.
? In verschiedenen Interviews haben Sie klar Stellung bezogen gegen die Überbürokratisierung und Überregulierung in Deutschland. Welche Ideen haben Sie, um den Bürokratie-Dschungel zu lichten?
Wolfgang Bosbach:
Die wichtigsten Maßnahmen wären: Nicht nur von der Notwendigkeit von Bürokratieabbau sprechen, sondern auch endlich und ganz konkret längst überfällige Maßnahmen ergreifen. Exakt so, wie das die Staatsregierung in Bayern bereits erfolgreich umsetzt.
Weiterhin müssen wir das EU-Parlament in Brüssel dazu drängen, ein Belastungsmoratorium zu beschließen, welches seine Arbeitskraft ganz klar dem Bürokratieabbau widmet.
? Laut des IW-Arbeitsmarktexperten Holger Schäfer dürfte in den kommenden Monaten die Arbeitslosigkeit steigen. Im September gab es bereits 179 000 mehr Arbeitslose als im Vorjahresmonat. Tendenz steigend. Für das Rentensystem bedeutet das: weniger Jobs, gleich weniger Beitragszahler. Somit wird es schwer, das Rentenniveau zu halten. Welche Maßnahmen wird oder muss eine CDU/CSU geführte Bundesregierung ergreifen, um gegenzusteuern, damit das Rentensystem nicht weiter destabilisiert wird?
Wolfgang Bosbach: Bitte Hände weg von einer nochmaligen Absenkung des Rentenniveaus! Soziale Gerechtigkeit schulden wir nicht nur den Empfängern von Transferleistungen, sondern auch und gerade denen, die den Sozialstaat mit ihrem Fleiß finanzieren. Die Stichworte lauten hier: Verbesserte private Vorsorge, betriebliche Altersversorgung, Aufbau eines Kapitalstocks, bessere Bedingungen für diejenigen, die über das Renteneintrittsalter hinaus gerne noch länger arbeiten würden.
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Focus-Online-Kolumnistin Lena Brockhaus schrieb Anfang Oktober dieses Jahres in einem bemerkenswerten Kommentar:
„Ich finde Wolfgang Bosbach einen großartigen, werteorientierten Politiker mit Herz und Sachverstand. BILD nannte ihn zurecht einst den Kanzler der Herzen.
In jedem Fall wäre er ein guter Innenminister für unser Land, auch jetzt mit 72 Jahren. Ich frage mich schon seit längerem: Warum haben wir eigentlich Nancy Faeser,
wenn wir einen Wolfgang Bosbach haben könnten?“
Fühlen Sie sich nach derartigen Komplimenten nicht ermutig, wieder aktiv ins politische Tagesgeschehen nach der Bundestagswahl 2025 einzugreifen?
Wolfgang Bosbach:
Natürlich freue ich mich über derart nette Kommentare. Wem würde das nicht guttun? Zumal ich die Autorin sehr schätze. Aber alles hat seine Zeit. Ich bin nicht mehr der Jüngste und leider nicht fit.
Aber eins kann ich Ihnen sagen: An meiner Leidenschaft für die Politik und meiner Liebe zum Land wird sich nie etwas ändern.